Erkenne den Evangelisch-Sorbischen Glauben

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Glaube und Tradition – evangelische Gemeinde in Schleife/Slepo

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Acht Dörfer bilden die evangelische Gemeinde in Schleife (Sorbisch: Slepo). Für die rund 1.300 Gemeindemitglieder ist die Kirche in Schleife ein zentraler Ort. Den Menschen bedeutet die Verbindung zwischen Glaube und Tradition viel. Neben dem religiösen Aspekt ist vielen Gläubigen die soziale Seelsorge wichtig, auch beim Kampf um den Erhalt der Natur, der sorbischen Identität und der Heimat.

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Zuhause im 'Mutterland der Reformation' – Evangelische Bevölkerung in Sachsen

'Lutherweg Sachsen – Unterwegs auf Luthers Spuren durch das Mutterland der Reformation'

Werbetexte wie diese machen bereits deutlich, welche Rolle Sachsen für die Reformation und welche Rolle die Reformation für Sachsen gespielt hat: Ob als spirituelles Wandererlebnis oder spannendes Geschichtsspiel, Sachsens Rolle als 'Mutterland' oder 'Stammland der Reformation' wird in jedem Fall hervorgehoben.

Der folgende Abriss gibt einen schlaglichtartigen Überblick über die Reformation im 16. Jahrhundert mit Fokus auf die Geschehnisse in Sachsen, über die Religionspolitik in Sachsen in den Folgejahren und schließlich über den heutigen Stand der evangelischen Bevölkerung.

In Deutschland gilt Martin Luther (1483-1546, Theologieprofessor an der Universität Wittenberg) wohl als bekanntester Reformator dargestellt, der die Missstände innerhalb der Kirche erkannte und publik machte (31.10.1517: Veröffentlichung der 95 Thesen). Wittenberg lag damals im Kurfürstentum Sachsen, das von den Ernestinern regiert wurde. Luther zweifelsohne einflussreich, aber weder der erste noch der einzige Kritiker der kirchlichen Praktiken. Bereits im 14. Jahrhundert sind europaweit zahlreiche Akteure aufgetreten, die beispielsweise einen strikten Biblizismus forderten und den ausschweifenden Lebensstil von Klerikalen kritisierten. Dieses und die darauffolgenden Jahrhunderte waren ein reichhaltiger Nährboden für Umstrukturierungen und Reformationen, denn Gesellschaft und Politik veränderten sich stärker und schneller als die Leute es bis dahin gewohnt waren: Machtkonstellationen ordneten sich neu, frühmoderne Staaten entstanden, ein Früh- und Handelskapitalismus entwickelte sich. Damit war Luthers Auftreten keine 'Hammerreformation', sondern eher ein Gipfelpunkt einer reformatorischen Zeit, die langfristig vorbereitet wurde. Anders als die Vorgänger in den Jahrhunderten zuvor konnten Luther und seine Gefolgschaft auf den Buchdruck zurückgreifen. Jedermann konnte sich die Flugblätter selbst durchlesen oder von einer lesekundigen Person vorlesen lassen. So kam die Reformation in Gang.

Luther führte im Juli 1519 in der Leipziger Pleißenburg ein Streitgespräch mit dem Theologen Johannes Eck über das päpstliche Primat, das bis heute als Leipziger Disputation bekannt ist. In der Zeit danach war sich Sachsen jedoch in seiner Einstellung gegenüber Luther und seinen Ansichten uneins: Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen, stellt sich entschieden gegen Luther, Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, hingegen wirkte als Luthers Schutzherr. Beim Reichstag zu Worms im Juli 1521 weigerte sich Luther, seine Aussagen und Schriften zu revidieren. Auf der Wartburg bei Eisenach lebte er ein Jahr unter dem Decknamen 'Junker Jörg' und übersetzte das Neue Testament ins Deutsche. Auf dem Reichstag zu Speyer im Jahr 1526 wurde ein einheitlicher konfessioneller Beschluss verschoben und verkündet, jedes Territorium solle in Glaubensangelegenheiten nach eigenem Gutdünken handeln. Als drei Jahre später dieser Grundsatz zurückgezogen und das Wormser Edikt bestärkt wurde, protestierten einige Reichsstände dagegen, darunter auch Kursachsen, Hessen, Brandenburg, Braunschweig und einige Reichsstädte. Aus diesem Protest ging schließlich auch der Begriff Protestanten hervor. 1527 wurde in Kursachsen unter dem Kurfürsten Johann Friedrich dem Großmütigen das Amt des Superintendenten eingeführt – eines Pfarrers mit Aufsichtsfunktion über das ethische und lehrmäßige Verhalten anderer Pfarrer. Dieser Akt gilt als organisatorischer Beginn der Reformation in Sachsen. Im Jahr 1539 wurde dann auch das Herzogtum Sachsen für die Reformation geöffnet.

Bis Ende des 17. Jahrhunderts blieb das sächsische Herrscherhaus protestantisch. August des Starken konvertierte im Jahr 1694 zum Katholizismus. Die Bevölkerung hingegen blieb protestantisch. Bis heute sind evangelische Christen im 'Mutterland der Reformation' im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften mit 22,4 Prozent (Stand 2018) die größte christliche Gruppe. Die evangelischen Christen gehören der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche an (677.064, Stand 2018).

Jasmin Eder

Sorben und Christentum in Sachsen

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Tagebau in der Oberlausitz

Von Fortschritt, Traditionen und Umbrüchen

Nieder- und Oberlausitz waren und sind Braunkohlereviere und vom Bergbau bestimmt. Im Laufe der letzten Jahrzehnte gewann die Bergbautraditionen an Bedeutung. Für die Sorben ist die Abbaggerung von 137 Siedlungen und 27 Kirchen in ihrem Siedlungsgebiet jedoch ein bleibender Schmerz. Das absehbare Ende des Tagebaus bedeutet einen erneuten Umbruch für die Bevölkerung.

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Hier wird Tradition groß geschrieben

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Backhaus des Schusterhofs in Trebendorf: Zum Gottesdienst wird Brot gebacken.

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Pfarrerin Jadwiga Mahling während des Gottesdiensts im Schuster Hof in Trebendorf. Sie zeigt ein regionales landwirtschaftliches Produkt.

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Gesang während des Gottesdienstes im Schuster Hof in Trebendorf

Die Kirchengemeinde Schleife/Slepo unterstützt die lokalen Bräuche und die Förderung des Schleifer Sorbisch. Gesangsbücher wie die Osterchoräle werden im Schleifer Sorbisch gedruckt. Das Schleifer Sorbisch sprechen zwar nur noch die Älteren, die es noch in der Kindheit lernten, aber singen können es alle. Und die Bedeutung der Sprache wird deutlich durch die Weitergabe an die nächsten Generationen. Es gibt eine zweisprachige Schule im Ort und im evangelischen Kindergarten werden die Kinder zweisprachig betreut. Die enge Verbindung zwischen christlichem Glaube und lokalen Traditionen wird im religiösen Alltag sichtbar. Der Sonntag ist der wöchentliche Feiertag. Am Sonntagvormittag finden die Gottesdienste statt. In der Woche wird zu Hause gebetet, vor dem Essen betet die Familie gemeinsam. Das Jahr wird durch die religiösen Feiern eingeteiltWeih: nachten, Ostern, Pfingsten und die Fastenzeiten. Die Trachten, die regional hergestellten Kleider für die Frauen und die Anzüge für die Männer richten sich farblich nach dem Kirchenjahr. Das soziale Leben ordnet sich nach dem Kirchenkalender. In Fastenzeiten finden keine großen privaten Feste statt. Neben dem religiösen Aspekt ist vielen Gläubigen die soziale Seelsorge wichtig, die mit einer intakten Verbindung zwischen der Tradition der sorbischen Identität, ihrer Gemeinde, dem Zusammenleben und der Landwirtschaft einhergeht. Das Erntedankfest am ersten Sonntag nach dem Michaelistag im September nehmen die Gläubigen sehr ernst. Die Schleifer Kirche füllt sich dann mit vielen landwirtschaftlichen und regionalen Produkten, auch Kräuter spielen eine große Rolle.

Der Lausitzer Blaudruck

Ein Teil der Tracht ist immer mit dem Lausitzer Blaudruck hergestellt, sei es die Bluse oder die Schürze. Der Lausitzer Blaudruck ist seit 2014 als immaterielles Kulturerbe Deutschlands anerkannt und seit 2018 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. In Trebendorf ist er sehr präsent. Während des Gottesdienstes können Schürzen und Kissen in Blaudruck auf einem Tisch liegen. Gläubige tragen Röcke mit Blaudruckmuster.
Beim Blaudruck haftet die Farbe am Stoff an, dringt jedoch nicht ein. Die blaue Farbe wurde aus Pflanzen hergestellt, meistens aus Waid. Stoffe sind in der Lausitz meist aus Leinen, also aus Flachs hergestellt. Beim Färben der Kleidung entsteht ein weißes Muster auf blauem Grund. Aktuell gibt es nur noch eine aktive Firma, die Blaudruckwerkstatt Thieme. Zusammen mit dem Projekt Inwertsetzung des sorbischen/wendischen Kulturerbes wird jedoch der Erhalt und die Weitergabe der Tradition verstärkt. Die blau-weiß bedruckten Textilien sind wie die Sprache identitätsstiftend. Jedes Dorf hat ein eigenes Muster.

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Das Schleifer Christkind

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Christkind und zwei Begleiterinnen sitzend in Pfarrkirche Schleife

Eine große Wertschätzung erfährt bis heute der Brauch der Christkinder (Bože dźěćatko) im Schleifer Kirchspiel. Jeder Ort des Schleifer Kirchspiels hat sein spezielles Christkind mit seiner spezifischen Tracht. Das Christkind symbolisiert das Jesuskind und darf die jeweilige Ortsflurgrenze nicht überschreiten. Jährlich am 1. Advent wird das Schleifer Christkind in der Schleifer Kirche ausgesegnet. Das Gesicht der Person, die das Christkind symbolisiert, wird durch einen weißen Schleier verdeckt. Nach der Einsegnung im Gottesdienst zieht sie zusammen mit zwei Begleiterinnen von Haus zu Haus und segnet schweigend und nur durch eine zarte Berührung der Wangen die Menschen. Ihre Begleiterin verteilt die im Korb befindlichen Gaben.

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Evangelische Gemeinde in Schleife - Slepo

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Urheber: 32X

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Evangelische Kirche in Schleife

Die evangelische Gemeinde in Schleife/Slepo gehört zur Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Sie hat etwa 1.300 Gemeindemitglieder und besteht aus acht Dörfern - sieben obersorbischen Dörfer in Sachsen und ein niedersorbisches Dorf in Brandenburg. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz finanziert sich aus Kirchensteuern. Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wie jede Gemeinde lebt die Gemeinde in Schleife von der ehrenamtlichen Arbeit der Gläubigen, die sich in den Gemeindegremien und vielfältigen soziokulturellen Aktivitäten engagieren.

Die Kirche in Schleife, 1341 erstmals urkundlich erwähnt, ist das Zentrum der Gemeinde. Die Kirche liegt in der Mitte des Ortes auf einer Grünfläche mit Sitzbänken. Laut einer Umfrage des Meinungsinstituts Forsa von 2023 zur Kirchenmitgliedschaft fühlen sich 64 Prozent der Gläubigen der örtlichen Kirchengemeinde am meisten verbunden, erst dann folgt der regionale Kirchenbezirk. Dies gilt auch für die Kirchengemeinde Schleife. Beim Floriansgottesdienst für die Feuerwehrleute im September kommen Gläubige aus sieben Dörfern zusammen, die zum Sprachgebiet des Schleifer Sorbisch gehören und zum gleichen Trachtengebiet. 

Trebendorf

Eines der sieben Dörfer der Verwaltungsgemeinschaft Schleife ist Trebendorf. Im Hans-Schuster-Hof in Trebendorf, im nördlichen Teil des Landkreises Görlitz gelegen, wird jährlich in der Scheune ein zweisprachiger Gottesdienst gefeiert, sorbisch und deutsch. Der Hof ist benannt nach Hans Schuster, einem bekannten Dudelsackspieler aus Trebendorf. Der Hof ist mit einem Backofenhaus ausgestattet, in dem vor dem Gottesdienst frisches Brot gebacken wird. In der Museumsscheune sind historische landwirtschaftliche Geräte zu sehen. Dort findet auch der Gottesdienst statt. Der Gottesdienst ist gut besucht. Die Predigt gibt es auf Sorbisch und Deutsch. Der Posaunenchor spielt zwischen dem Gesang der Gemeinde. Nicht wenige Gläubige tragen die Schleifer Tracht.

Im Hof des Hans-Schuster Hofes spielt ein sorbischer Dudelsackspieler auf. Den Dudelsack der Westslawen gibt es als kleinen (měchawa) und großen (kozoł) Dudelsack. Der kleinere Dudelsack wird eher feierlich eingesetzt, etwa zum Kirchgang bei Hochzeiten, der größere dann anschließend bei der Feier. Er wird gegenwärtig von zwei Dudelsackherstellern in der Region gebaut. In Schleife existiert die Tradition des Dudelsackspielens ununterbrochen seit dem Mittelalter und wird heute auch von Frauen ausgeübt. Der Dudelsack gehört zur sorbisch-christlichen Tradition, genau wie die vielen Posaunenchöre. Die Schleifer Gemeinde hat auch ein Posaunenchor. Dieser probt wöchentlich. Die Posaunen erklingen in den Gottesdiensten.  Nach dem Gottesdienst bleiben die Gläubigen zusammen, es gibt Kaffee und selbstgebackenen Kuchen sowie Roggenbrot. Gottesdienstbesucher tauschen sich an  Stehtischen aus.

Gottesdienst im Hans-Schuster-Hof

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Schuster-Hof in Trebendorf

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Gottesdienst im Schuster Hof in Trebendorf: Das Backhaus ist in Betrieb.

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Gläubige in der Scheune des Schuster-Hofs

Mühlrose/Miłoraz

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Die Natur erobert sich Mühlrose zurück

Zur Gemeinde Trebendorf gehört seit 1999 auch der Ortsteil Mühlrose - Miłoraz. Mühlrose hat Bekanntheit erlangt als das letzte Dorf, das in Ostdeutschland wegen des Tagebaus Nochten (Braunkohle) umgesiedelt wird. Mühlrose wurde wahrscheinlich im 12. Jahrhundert gegründet. Viele Bewohner des Dorfes haben ihre Häuser bereits verlassen und die Natur erobert sich das Dorf zurück. 
Pfarrerin Jadwiga Mahling ist oft vor Ort, um den noch verbleibenden Bewohnen geistlichen Beistand zu leisten. Durch den Tagebau sind jedoch auch Friedhöfe umgebettet worden. In dem umgesiedelten Mühlrose, nun Neu-Mühlrose genannt, soll am Rande von Schleife ein neuer Friedhof angelegt werden. Im Alltag wird viel vom Seelenheil und den Seelen der Verstorbenen gesprochen, und die Umbettung der Toten in einen neuen Friedhof wird von manchen Menschen in der Gegend als unchristlich angesehen. Diejenigen, die bereits umgesiedelt worden, befürworten jedoch die Nähe ihrer Toten. Der Weg zum Friedhof ist dann nicht so weit.

Ostern in der Lausitz

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