Erkenne den Glauben der Polnischsprachigen Katholiken

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"Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern" – Polnischsprachig Katholische Gemeinden in Sachsen

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"Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern" – unter diesem Titel brachte die Deutsche Bischofskonferenz 2003 ihr Schreiben zur Organisation der Seelsorge für ausländische Katholiken heraus, die den katholischen Gemeinden in Deutschland als Leitlinien zum Umgang mit nicht-deutschsprachigen Katholiken dienen sollte.
Auch in Sachsen haben ausländische Katholiken die Möglichkeit, Gottesdienste in ihrer Muttersprachen zu hören oder andere Arten der Seelsorge oder des Gemeindelebens in Anspruch zu nehmen. Eine prominente Gruppe unter ihnen sind die polnischen Katholiken.

Wie viele polnischsprachige Katholiken gibt es in Sachsen?

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Die Geschichte der polnischen Katholiken in Sachsen hängt eng mit der Geschichte des Katholizismus in Sachsen selbst zusammen: Die katholische Bevölkerung in Sachsen bestand im 19. Jahrhundert größtenteils aus Zugezogenen aus der Habsburgermonarchie, darunter polnischen Katholiken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden etwa 10.000 polnischsprachige Katholiken in Sachsen gezählt. Heute leben etwa 23.238 Polen in Sachsen. Davon sind nach den Angaben der Gemeinden 5.736 polnisch-katholische Gläubige. 2.475 leben in Dresden. 60% von diesen sind unter 40 Jahre alt. Es handelt sich also um eine Gemeinschaft vorrangig junger Menschen.

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Katholizismus

Der Katholizismus ist ein Teil des gesamten Christentums, und bezieht sich auf Gott, Jesus Christus als Gottes Sohn und die Bibel als Heilige Schrift. 

Einige Merkmale, die den Katholizismus von anderen christlichen Gruppen unterscheiden, sind unter anderem der Papst als geistliches Oberhaupt, die Verehrung von Jesu Mutter Maria und die Verehrung von Heiligen, die als Mittlerfiguren zwischen Menschen und Gott angesehen und deswegen in sogenannten "Fürbitten" mit angesprochen – nicht angebetet – werden.

Verena Böll, SLpB

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Katholische Bevölkerung in Sachsen – klein, aber beständig

Dass die  katholische Kirche in Sachsen nur wenige Gläubige hat und die finanziellen knapp sind, darüber berichten auch überregionale Medien immer mal wieder. Heute sind etwa 21,7 % der sächsischen Bevölkerung Kirchenmitglieder, davon 17,9% evangelisch und 3,7% katholisch. Die insgesamt 152.321 Katholiken sind auf drei Bistümer verteilt: Bistum Dresden-Meißen, Bistum Görlitz und Bistum Magdeburg.

Die Zahlen sprechen erstmal für sich, und sie sagen: Ja, die katholische Kirche hat es nicht leicht in Sachsen. Aber steht deswegen ihr baldiges Ende in Sachsen bevor? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Katholizismus eine dynamische Entwicklung durchgemacht hat und die katholische Bevölkerung seit Langem klein, aber beständig ist.

Zwar gilt Sachsen als das 'Mutterland der Reformation', das Königreich Sachsen war aber mehr als 200 Jahre lang unter den Wettinern eine katholische Dynastie. Dies geht auf August den Starken (1670-1733) und dessen Konversion zum Katholizismus zurück, durch die er 1697 als August der II. zum polnischen König gekrönt wurde. Von da an waren die sächsischen Herrscher zwar katholisch, bis auf den Hof in Dresden und einigen Gemeinden in der Oberlausitz blieb die sächsische Bevölkerung aber fast ausschließlich evangelisch-lutherisch geprägt. Das änderte sich erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts, als im Zuge der Industrialisierung hunderttausende Migranten unter anderem aus dem Habsburger Reich und den preußischen Ostprovinzen nach Sachsen einwanderten, von denen die meisten katholisch waren. So führten Migration und somit ein schneller gesellschaftlicher Wandel dazu, dass sich der Katholizismus in Sachsen dynamisch entwickelte. Im Jahr 1834 machten die 27.983 Katholiken etwa 1,8% der Gesamtbevölkerung aus, im Jahr 1910 die 233.872 Katholiken 5%. Mit dem Anstieg der katholischen Bevölkerung stieg auch die Nachfrage nach katholischen Gottesdiensten, sowohl für deutsch- als auch für fremdsprachige Katholiken. Da der Großteil der Bevölkerung aber weiterhin lutherisch-evangelisch geprägt war, brachte das Wachsen der katholischen Bevölkerung und der Wunsch nach vermehrten katholischen Gottesdiensten auch Spannungen und Konflikte mich sich. Dies führte politisch zu einem verwickelten und unentschlossenen Umgang mit der katholischen Bevölkerung und machte die Einführung von katholischen Gottesdiensten – egal ob in deutscher oder in einer anderen Sprache - grundsätzlich möglich, aber langwierig und kompliziert. Gleichzeitig zeigten die Katholiken ein großes finanzielles und organisatorisches Engagement, und schufen so selbst, gewissermaßen 'von unten' katholische Strukturen.

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete auch das Ende der Monarchie und eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Religion in der Weimarer Republik. Der Grundsatz, wonach keine Staatskirche bestehen solle, der heute auch gilt, erlaubte den Katholiken eine größere demokratische Teilhabe, beispielsweise in Form der Zentrumspartei. In der Zeite des Nationalsozialismus war das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Nazi-Regierung zwiegespalten und unbeständig: Von Seiten nicht weniger – auch führender – Katholiken gab es zwar mitunter Kritik an den Nazis, oftmals arrangierten sie sich aber auch mit ihnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren etwa 90% der mitteldeutschen Bevölkerung christlich, nach dem Ende der DDR nur noch 25%. Das lag ganz wesentlich an der religionskritischen Haltung und Politik der DDR. Wie bereits zur Zeit der Industrialisierung 'lebt' die katholische Kirche in Sachsen auch heute von Zugezogenen, darunter vor allem Katholiken aus Westdeutschland und Polen.

Jasmin Eder

Die Folgen des Zuzug polnischsprachiger Katholiken nach Sachsen

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Zuzug Folgen

Zuzug polnischsprachiger Katholiken nach Sachsen im 19. Jahrhundert ...

Im 19. Jahrhundert kamen im Zuge der Industrialisierung mehrere Hunderttausend Arbeitsmigranten nach Sachsen, darunter auch polnischsprachige Katholiken aus Russland und der Habsburgermonarchie. Mit dem Anstieg der katholischen Bevölkerung stieg im protestantischen Sachsen auch der Bedarf an katholsicher Seelsorge, auch der an polnischsprachiger Seelsorge.

... und die Folgen fĂĽr das Zusammenleben der Konfessionen

Da der Großteil der sächsischen Bevölkerung bis dahin protestantisch war, ergab sich eine konfessionelle Konfliktlage, die die Etablierung der katholischen Seelsorge in Sachsen – sei es in deutscher oder nicht-deutscher Sprache – langwierig machte.

Zuzug Folgen

Ausbau der polnischsprachigen Seelsorge

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Dennoch wurde das Angebot zur polnischsprachigen Seelsorge ab Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich ausgebaut, zunächst aber nur durch preußische polnischsprachige Geistliche, die Rundreisen durch Sachsen antraten. Den Beginn einer ständigen polnischsprachigen Seelsorge markierten polnischsprachigen Kapläne in Dresden und Leipzig, die ab 1910 regelmäßig polnischsprachig Gottesdienste auch in den Kleinstädten abhielten. Zu dem Zeitpunkt befanden sich etwas 8.000-10.000 polnische Katholiken in Leipzig und Umgebung. In Leipzig beispielsweise fanden in der Liebfrauenkirche in Lindenau ab dem 11.12.1910 bis zum Ausbruch des I. Weltkrieges monatlich Messen auf Polnisch statt. Danach sind dort erneut welche ab 1925 gehalten und laut eigenen Angaben der Gemeinde in Leipzig von etwa 300 Gläubigen aus Leipzig und Umgebung besucht worden. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ist es erneut zum Erliegen der polnischen Seelsorge gekommen.

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"Ich habe keine Schwierigkeiten oder Überwachung von außen erfahren; es scheint, dass die Seelsorge an Polen in der DDR von den Behörden toleriert wurde." (Erzbischof Wiktor Skworc)

Polnischsprachige Katholische Seelsorge in der DDR: zwischen stillschweigender Duldung und Repression

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Liebfrauenkirche von innen in den 19020er Jahren
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Urheber: unbekannt

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Interior_of_Liebfrauenkirche_(Leipzig)?uselang=de#/media/File:Liebfr._Lzg._histor.jpg

PD

Das Innere der Leipziger Liebfrauenkirche um 1920

Kirchengebäude der Liebfrauenkirche in Leipzig von außen
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Urheber: Jwaller

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Liebfrauenkirche_(Leipzig)?uselang=de#/media/File:Liebfrauen-Leipzig1.JPG

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Liebfrauenkirche in Leipzig-Plagwitz heute

Erst im Jahr 1970 sind die ersten Messen wieder gefeiert worden – zuerst in Leipzig-Südwest, dann 1973 in der zuvor genannten Liebfrauenkirche in Plagwitz. Auch für Dresden gelten die Jahre 1972/1973 als (Neu-)Beginn für das polnische katholische Gemeindeleben: 1972 organisierte der Pfarrer Georg Kirch die ersten Messen auf Polnisch. Und ab 1973 kamen polnischsprachige Priester nach Dresden, die aus anderen Diözesen Deutschlands oder Polens entsandt worden waren. Der Erzbischof Wiktor Skworc berichtet, dass er während seiner Anwesenheit in Dresden 1972-1973 gelegentlich auch in kleineren Städten wie Freiberg und Riesa Gottesdienste gefeiert hat. 

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"Der traditionelle seelsorgerische Besuch des Pfarrers in der Weihnachtszeit sah in der DDR so aus, dass ich in ein Arbeiterhotel reinkam, ein zwei Zimmer besuchte und vom Portier rausgeschmissen worden bin." (Pfarrer Andrzej Kobiesa)

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Pfarrer Andrzej Kobiesa ĂĽber seine seelsorgerische Arbeit in der DDR

Kobiesa war von 1987 bis 2013 für die polnischsprachige Seelsorge zuständig.

"Der traditionelle seelsorgerische Besuch des Pfarrers in der Weihnachtszeit sah in der DDR so aus, dass ich in ein Arbeiterhotel reinkam, ein zwei Zimmer besuchte und vom Portier rausgeschmissen worden bin. […] Obwohl man es in der DDR nicht durfte, habe ich Religionsunterricht gegeben. Wenn es sich die Eltern gewünscht haben, habe ich es gemacht. Dabei wurde ich sehr genau kontrolliert. Der Sicherheitsdienst wusste genau, wohin ich fahre und mit wem unterwegs bin. In den STASI-Akten gibt es auch Informationen darüber, wie viele Menschen die Messe besucht haben und worüber ich gesprochen habe. Nicht nur deutsche, sondern auch die polnischen Sicherheitsdienste hatten mich im Visier. Man musste sehr aufpassen, was man sagte, um nicht aus dem Land ausgewiesen zu werden."

Polska Misja Katolicka - Polnische Katholische Mission, Księga Jubileuszowa z okazji 50-lecia Polskiej Misji Katolickiej w Dreźnie – Jubiläumsbuch zum 50-jährigen Bestehen der Polnischen Katholischen Mission in Dresden, Dresden 2022 S. 102–103.

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Diese zwei Beispiele von Erlebnisberichten zeigen die die ambivalente Situation, in der sich die polnisch-katholische Seelsorge in der religions- und kirchenkritischen DDR befand. Sie war gekennzeichnet von Duldung auf der einen und Repression auf der anderen Seite.

Versetzen Sie sich einmal in die Lage des Pfarrers und des Bischofs: Welche der folgenden Aussagen wĂĽrden Sie wem zuordnen?

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Zur Geschichte des katholischen Glaubens in Polen

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Historiengemälde, das die sogenannte Taufe Polens im Jahr 966 zeigt
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https://de.wikipedia.org/wiki/Christianisierung_Polens#/media/Datei:Matejko_Christianization_of_Poland.jpg

PD

Das Gemälde von Jan Matejko "Die Christianisierung Polens 966" aus dem Jahr 1889 stellt die Taufe Mieszkos I. und seines Hofstaates dar.

Der Katholizismus in Polen reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück. Im Jahr 966 beginnt mit der sogenannten Taufe Polens die Christianisierung Polens: Mieszko I., Fürst der Region um die Städte Posen und Gnesen, heiratete Dobrawa, die Tochter des böhmischen Herzogs Boleslav, und er ließ sich im Rahmen dieser Hochzeit katholisch taufen. Damit setzte er sich von den anderen slawischen Herrschern ab. 

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Der Dom von Poznan
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Urheber: Trycatch

https://de.wikipedia.org/wiki/Erzbistum_Posen#/media/Datei:Katedra_Poznan_front.jpg

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Die älteste Kathedrale Polens in Poznan

Mit Mieszko I. konvertiere auch sein gesamter Hofstaat. 968 wurde in Posen die erste Diözese errichtet und 1024 wurde Bolesław I., Mieszkos ältester Sohn, vom Papst zum ersten König vom Königreich Polen gekrönt. Mieszkos Konversion zum Katholizismus erlaubte es ihm und seinen Nachfolgenden, sich politisch an andere katholische Herzogtümer, Königreiche und an den deutsch-römischen Kaiser Otto I. anzunähern. Damit war Polen ab dem 10. Jahrhundert katholisch geprägt, aber keineswegs ausschließlich.

Polen – ein Land mit unterschiedlichen Ethnien und Religionen

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Um den Aufbau von Städten und den Handel weiter voranzutreiben, förderte König Kazimir III. im 14. Jahrhundert den Zuzug von Menschen aus den deutschsprachigen Gebieten. Unter ihnen befanden sich auch viele Juden, da zu der Zeit in den deutschen Gebieten Juden verfolgt und umgebracht wurden. Das Verhältnis zwischen der jüdischen und der katholischen Mehrheitsbevölkerung war im Königreich Polen nicht konfliktfrei, auch dort wurden Juden Opfer von Repressionen und Pogromen. Verglichen mit Mittel- und Westeuropa hingegen hatten die Juden im Königreich Polen mehr Freiheit zur Niederlassung. Sie waren mitunter durch die Herrschenden besser vor Gewalt geschützt. Auf diese Weise entwickelte sich das Königreich Polen zu einem Land mehrerer Religionen und Ethnien: Es gab u.a. katholische, protestantische und jüdische Bevölkerungsteile. 

Religion als Identitätsbildung

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Das Land – der Glauben – eine Nation?

Heute wird Polen mit einer katholischen Bevölkerung von etwa 71,3% oftmals als sehr homogen wahrgenommen. Die Verknüpfung zwischen der Zugehörigkeit zur polnischen Nation und Kultur einerseits und zur katholischen Kirche andererseits geht aber schon auf das 18. Jahrhundert zurück. In den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurde Polen-Litauen sukzessive durch die Großmächte Russland, Preußen und Österreich geteilt und gewaltsam ihre Machtbereiche integriert. Zwischen 1795 und 1918 war das Land gänzlich aufgeteilt. Es gab keinen eigenständiges polnischen Staat mehr. In dieser Zeit wuchs unter der polnischen Bevölkerung der Wunsch danach, nach einer Stärkung der eigenen Identität. Sowohl in als auch außerhalb von Polen hat sich das Diktum "Polak to katolik" ("Der Pole ist Katholik“) durchgesetzt. Es wirkt noch heute auf gesellschaftliche. Diskurse.

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Die Geschichte Polens: Der Abschnitt zu den Teilungen Polens beginnt ab 6.44 min.